Wenn wir uns auf die Suche nach den Ursprüngen des Gedankens “Sprachen lernen im Austausch” machen, werden wir von Jahr zu Jahr auf neue VorläuferInnen stoßen, die sich teilweise untereinander nicht einmal kennen. Das kann bei einem Verfahren, das gleichsam “in der Luft liegt”, vielerorts spontan als Unterrichtsaustausch von StudentInnen im Ausland angewandt wird und für viele Sprachen geeignet ist, auch nicht verwundern.

Beziehen wir das nicht aufs Sprachenlernen gerichtete PartnerInnenlernen, “peerteaching”, TutorInnenmodelle und “Zweierschaften” (Steinig) mit ein, so lassen sich elf Etappen unterscheiden:

Beispielsweise propagierten Joseph Lancaster und Andrew Bell gegen Beginn des 19. Jahrhunderts in England das “Mutual System”, also die Ersetzung großer Teile der LehrerInnenaktivität in der Schule durch gegenseitige SchülerInnenhilfe. Die ‘Akademischen Ferienkurse’ der Universität Hamburg boten 1913 Sprachaustausch an, Peter Peterson (1884-1952) entwickelte Ähnliches in den “Jenaplanschulen”, ab 1960 verbreiteten sich TutorInnenmodelle auch in den USA.

Der Begriff “Tandem” für ein Lernpaar gleicher Sprache tauchte meines Wissens zuerst 1971 im Zusammenhang mit der Audiovisuellen Methode bei Wambach auf, von dort wurde er auf die seit 1968 bei deutsch-französischen Jugendbegegnungen veranstalteten binationalen Kurse übertragen. In diesem Zusammenhang sind besonders die Namen Bazin, Göbel, Robert Jean, Leupold, Gaston Schott, Raasch, Scherfer, Wambach, Wessling, Zindler und Zamzow und die Einrichtungen  Deutsch-Französisches Jugendwerk, Arbeitsgruppe Angewandte Linguistik Französisch, Bureau International de Liaison et Documentation und  Sprachinstitut Tübingen zu nennen.

Durch die zahlreichen deutsch-französischen Ansätze angeregt, übertrugen Klaus Liebe-Harkort und Nükhet Cimilli das Modell auf die Arbeit mit ImmigrantInnen im deutsch-türkischen Bereich, im Umfeld des Anatolischen Solidaritätsvereins und der Volkshochschule München. Es folgten Kurse in Bremen (Liebe-Harkort, Schminck-Gustavus u.a.) Auch ein Kurs im Türkischen Volkshaus Frankfurt (Faust, Schneider-Gürkan) und das patentierte Sprachlabor für zwei Personen ‘Alfasut’ von Werner Suter in Zürich ist wohl dieser Linie zuzurechnen.

Von all diesen Vorarbeiten war 1979 in Madrid nur ein Artikel von Liebe-Harkort bekannt, und dieser regte mich an, die Tandem-LernpartnerInnen-Einzelvermittlung zu entwickeln, zunächst für Spanisch und Deutsch. Daraus entstand ab 1982, in Zusammenarbeit mit Marisa Delgado, Bernhard Leute und Gracia Martín Torres ebenfalls ein Kursprogramm, organisatorisch dann von der damaligen Kooperative ‘Centro Cultural Hispano-Alemán TANDEM’ getragen, Vorläuferin der heutigen ‘Escuela Internacional TANDEM Madrid’. Die Einzelvermittlung wurde später zur Grundlage für das TANDEM-Netz.

Natürlich gingen auch zu Beginn der 80er Jahre die Aktivitäten im deutsch-französischen Bereich weiter: Nach einer Reihe didaktisch-methodischer Grundlagenarbeiten fanden jedes Jahr 6-8 intensive Tandem-Kurse mit z.T. fachsprachlichem Bezug statt, deren Entwicklung und Fundierung vom DFJW besonders gefördert wurde (z.B. Universitäten Mainz, Dijon und auch Fribourg: Fachsprache für Jura-StudentInnen; Maison de la Promotion Sociale und Sprachinstitut Tübingen: Hotel- und Gaststättengewerbe; AFRAT und SIT: Fachsprache Landwirtschaft; Deutsch-Französische Postpartnerschaft: Fachsprache Post- und Fernmeldewesen).

Ab 1983 setzte infolge einer lebhaften Veröffentlichungs-, Reise- und Ausbildungstätigkeit eine schnelle Verbreitung der Idee, hauptsächlich durch Gründung kleiner “Alternativsprachschulen” ein. Das Material zur Einzelvermittlung wurde in fast alle wichtigen europäischen Sprachen übertragen. Das Tandem-Netz umfasste Mitglieder in Chile, Costa Rica, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Kanada, Peru, Polen, Slowenien, Spanien, der Tschechischen Republik, Ungarn und assoziierte Partner in Österreich, Portugal und der Schweiz. Diese Struktur erleichterte Kurse im Ausland, Jugendaustausch, Tourneen von Kulturveranstaltungen, Klassenkorrespondenz und ähnliche grenzüberschreitende Aktivitäten.

Es kooperierte auch mit dem ‘International (E-Mail) Tandem Network’, das als RiBO 1992 von  Helmut Brammerts, Ruhr-Universität Bochum gegründet wurde.

Daneben begannen immer mehr öffentliche Einrichtungen wie Universitäten, Volkshochschulen, Goethe-Institute und sogar Primarschulen, Erfahrungen mit dem Verfahren zu sammeln. Die Genossenschaft ‘alpha beta‘ in Bolzano/Bozen und Meran(o) begann 1991, das Tandem-Prinzip auf die gesamte Region Alto Adige/Südtirol anzuwenden.

Ein großer Teil der BenutzerInnen gründete zur Verbesserung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und der Aus- und Fortbildung die Stiftung ‘TANDEM Fundazioa‘ mit  Sitz in Donostia/San Sebastian im Baskenland, die am 1.1.1994 ihre Tätigkeit aufnahm. Sie übernahm damit die Rechte am Warenzeichen/Marke ‘TANDEM’®, die ursprünglich bei Michael Friedrich, der Madrider Kooperative ‘Centro Cultural Hispano-Alemán TANDEM’ und Jürgen Wolff lagen, und wurde zur Ansprechpartnerin für Personen und Einrichtungen, die TANDEM® verwenden wollen. Außerdem beriet sie die OrganisatorInnen der in lockerer Folge stattfindenden ‘Internationalen TANDEM-Tage’, später ‚Tandem-Tagungen‘ im deutschsprachigen Raum.

Nach einem mehr als einjährigen Diskussionsprozess wurde 2003 das ‘Tandem-Gebäude’ in die Struktur ‘Zwei Pfeiler – ein Dach’ umgebaut. Die Verwaltung der Tandem-Stiftung ging von den Sprachschulen auf Universitäten, Flüchtlingszentren und ähnliche gemeinnützige Einrichtungen über, die Tandem nicht in der Werbung für Sprachkurse verwenden. Die Stiftung spezialisierte sich auf Tandem-Methodik und vergab Lizenzen zum Gebrauch des Materials und der Marke.
Die Mehrheit der Tandem-Schulen gründeten den Verein  ‘Tandem International‘ mit Sitz in Frankfurt, um die Vermarktung von Sprachkursen zu verstärken. Die Zusammenarbeit zwischen Verein und Stiftung war punktuell.

Seit etwa 2010 werden immer mehr Lernplattformen im Web und als Apps angeboten, die die autonome Suche von TandempartnerInnen ermöglichen. Außerdem wurde eine halbautomatisierte Vermittlung entwickelt. Einige davon, wie die App ‘Tandem’ und matorixmatch4tandem  wurden von der Stiftung beraten.

2019 wurde die Stiftung in das Projekt  ‚Dialog/Peace-Tandem‘ umgewandelt.

Jürgen Wolff, Stand:  20. September 2023